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"Moin, die Herrschaften, ja ich weiß, ich hätte mich wohl ein bisschen frisch machen sollen, bevor ich so feinen Damen und Herren unter die Augen trete. Aber mein Meister hat mich eben erst abkommandiert, Ihnen unser Werk zu zeigen. Ich arbeite normalerweise in der großen Produktionshalle bei den Spinnmaschinen.

Übrigens: mein Name ist Heinz Siemer. Aber nennen sie mich ruhig Heinz.

Und sie? Das erste mal hier als Gast bei den werten Herrschaften Lahusen?

Da kann man schon staunen, was die hier aufgebaut haben. Wenn sie sich nur die Außenfassade der Fabrik ankucken - das macht schon was her. Und auch unser Wasserturm, hier über uns, kann sich sehen lassen. Der ist  fast so hoch wie der Städtische.

Bevor der alte Martin Lahusen Ende des letzten Jahrhunderts die Fabrik baute, war hier nur Feld und Wiese. Delmenhorst war damals bloß ein kleines Nest mit der Langen Straße und ein bisschen drumherum. Doch dann kam die Fabriken und machten Delmenhorst zu dem, was es ist. Nicht, dass bei uns immer alles zum Besten steht, aber ein wenig stolz sind wir schon auf das, was wir hier erarbeitet haben.

Aber was rede ich, Sie wollen sicher endlich was zu sehen kriegen. Dann kommen sie mal mit.

O, kucken sie doch mal, da kommt Bello. Nein, keine Angst, das ist nicht unser Hofhund, sondern unsere fabrikeigene Lokomotive. Sie hat immer gut zu tun. Sie schleppt uns die Rohwolle bis ins Lager. Die Reichsbahn bringt sie ja nur ans Firmengelände.

Ja, die Dicke Bello ist unser bestes Stück. Ein Witzbold hat ihr schon vor Jahren diesen Namen gegeben, weil ihr schrilles Pfeiffen an das Bellen eines Kleffers erinnert. Noch bis vor 12 Jahren, also 1913, erledigte ein Pferdegespann die ganze Arbeit. Als die Pferde das nicht mehr schaffen konnten, wurde die Lok gekauft. Übrigens ist Bello eine Dampfspeicherlokomotive der Firma Henschel mit immerhin 550 PS. Sie hat keine eigene Feuerung, schon wegen der Brandgefahr! Ein bis zwei Mal am Tag wird sie am Kesselhaus mit Dampf gefüllt. Ihr Gleisnetz verläuft über das ganze Werksgelände und mit Drehscheiben wird sichergestellt, dass Bello immer mit der Schnauze nach vorne läuft."

Die Dicke Bello hat noch bis 1971 treue Dienste geleistet. Dann wurde im ganzen Werk komplett von Kohle auf Gas umgestellt. Somit gab es auch im Kesselhaus keinen Dampf mehr. Nach einer wechselvollen Geschichte wurde die alte Lok von den Freunden der Delmhorst-Harpstedter Eisenbahn restauriert. Jetzt steht sie auf dem Vorplatz des Fabrikmuseums zwischen ihrer ehemaligen Remise und den alten Kesselhäusern.