Oldenburg

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Ich bin ein echtes Oldenburger Urgestein, das könnt Ihr mir glauben! Überall in Oldenburg bin ich zu finden, ob in der Langen Straße, wo ich als überlebensgroßes Bild reitend auf meinem wundervollen Schimmel Kranich zu bewundern bin, als Gastgeber des alljährlichen Oldenburger Kramermarktes oder als Bauherr des Oldenburger Schlosses und und und. Wenn dieses Wort nicht ein wenig unpassend wäre angesichts meiner gräflichen Würde, könnte man mich als das Oldenburger Maskottchen schlechthin bezeichnen: Ich, Graf Anton Günther, Graf zu Oldenburg und Delmenhorst, Herr zu Jever und Kniphausen!

Warum die Oldenburger mich so sehr in ihr Herz geschlossen haben, liegt auf der Hand: Ich habe es einfach verdient! Ja, ich bin großartig gewesen! Deswegen war es auch gut, dass ich es damals allein zu sagen hatte. Ich war ein absolutistischer Fürst, würde man heute sagen und ich ließ mir von meinen Oldenburgern nicht die Butter vom Brot nehmen. Da mein Land aber recht überschaubar war und ich viele meiner Untertanen persönlich kannte, hatte das für die Leute auch etwas Behütendes und Väterliches. Und als guter Landesvater habe ich getan, was ich konnte, um die mir Anvertrauten vor allem Schaden zu bewahren: So habe ich das Werk meines Vaters, Johanns des Deichbauers, vollendet und den Küstenstreifen an der Jade, der seit Jahrhunderten durch furchtbare Sturmfluten zerschmettert worden war, endgültig durch den Ellenser Damm gesichert. Ich hatte es aber nicht nur mit den Unbilden der Natur zu tun, sondern der Mensch erwies sich zu meiner Zeit als allergrößte Gefahr: Im Jahre des Herrn 1618 warfen die Böhmen die kaiserlichen Gesandten aus dem Fenster des Prager Hradschin und hatten damit eine Lawine losgetreten, die ganz Europa überrollte: Kaiserliche und Katholiken kämpften gegen Protestanten, Niederländer gegen Spanier; Dänen, Schweden und Franzosen gegen das Reich. 30 Jahre dauerte dieses erbärmliche Schlachten, das in Deutschland ganze Landstriche entvölkerte. Ich sah in dieser Situation nur eine Möglichkeit der Rettung: Zwar war ich evangelisch und eng verwandt mit dem dänischen Königshaus, aber gleichzeitig galt ich als treuer Untertan des Kaisers. So setzte ich auf bewaffnete Neutralität, wobei meine Kontributionszahlungen an diverse Kriegsherrn mir einen treueren Dienst erwiesen als jeder meiner Söldner. Die erste Prüfung meiner Politik ergab sich anno 1623, als der katholische Generalissimus Tilly mit seinen Truppen anrückte, um dem protestantischen Feldherrn Mansfeld nach Ostfriesland zu folgen. Er wäre dafür allzu gerne durch mein Land gezogen. Doch das wollte ich beileibe nicht, wusste ich doch, was das für meine armen Oldenburger bedeutet hätte: Brandschatzung, Plünderung, Mord und Notzucht. So verhandelte ich in Wardenburg mit Tilly, der dort bei einem Hügel biwakierte, der heute noch nach ihm benannt ist. Neben der Betonung meiner Neutralität machte ich ihm klar, dass er in Ostfriesland militärisch nichts zu gewinnen hätte. Daher ließ er sich noch ein paar Pferde von mir schenken und zog dann nach zweieinhalb Wochen des Warten und Bangens endlich ab. So oder ähnlich verfuhr ich auch die nächsten 25 Jahre, so dass meinem Land das Schlimmste erspart blieb. Das haben mir meine Oldenburger sicher nicht vergessen.

Aber da ist noch etwas: Da mein einziger Sohn aus einer Beziehung stammte, die als nicht standesgemäß galt, konnte er mir in der Grafenwürde nicht nachfolgen. So bin ich denn der letzte Graf von Oldenburg. Kaum aber hatte ich mein Haupt zur Ruhe gebettet, brach die Pest in Oldenburg aus, und nur einige Jahre später verwandelte ein verheerendes Feuer einen Großteil der Stadt zu Asche. Vielleicht geht es also bei der Erinnerung an mich nicht nur um das, was ich geleistet habe, sondern auch um das, was ich verkörperte, nämlich die Geborgenheit, den Glanz und den Stolz einer, wenn auch kleinen, Residenzstadt.